Auch wir waren am 08. März 2019 beim Frauen und Queers Streik dabei!
„Wir sind heute zusammen gekommen, um all das zu bestreiken und in Bewegung zu bringen, was das Leben, unser alltägliches Leben, immer wieder so verdammt schwer, ja manchmal sogar unmöglich macht.
Wir bestreiken das ständige Uns-sorgen-müssen, eben genau das Tragen von Sorge und Verantwortung, das uns auf den Schultern lastet, aber unsichtbar bleibt, als selbstverständlich verstanden und nicht wertgeschätzt wird.
Wir bestreiken die Angst und die Sorgen aufgrund von (geschlechtlichen) Identitäten, Äußerlichkeiten, aufgrund eines nicht-in-die-Gesellschaft-Passens oder Passen-Wollens, verurteilt und bedroht zu werden.
Wir streiken heute, weil wir sie satt haben, den alltäglichen Leistungsdruck und die Sorge nach Anerkennung!
Wir, das sind, wenn wir uns hier umsehen schon eine ganze Menge. Hammer, dass ihr alle da seid. Und danke an alle, die in den letzten Jahren, Monaten, Wochen und ganz konkret in den letzten Tagen vorgesorgt haben, dass wir uns vor dem Kasseler Rathaus versammeln konnten und jetzt gestärkt zusammen auf die Straße gehen.
Danke auch an die Anmelder*innen und Organisator*innen, die heute offiziell Sorge gegenüber den städtischen Behörden tragen. Danke an alle, die uns heute mit Köstlichkeiten, Workshops und Momenten der Sorglosigkeit versorgt haben.
Doch, es ist euch bestimmt schon aufgefallen, viele von uns können heute gar nicht hier sein.
Viele von uns sind auf dem Weg zur Nachtschicht, um die Sorgen anderer zu versorgen – im Krankenhaus, im Callcenter, im Newsroom, bei der Nachbarin, bei den sorgebedürftigen Eltern, bei Verwandten oder Freund*innen…
Andere wiederum wurden an den Außengrenzen der Europäischen Union aufgehalten und müssen sich so sehr um das tägliche Überleben sorgen, dass ein solcher Protest wie wir ihn heute auf die Straße bringen gar nicht erst möglich ist.
Wir zeigen uns solidarisch mit allen, die heute nicht hier sein können.
Doch, ganz egal wie viele heute hier sind, woanders sorgen und kämpfen…. Wir schließen uns hiermit einem weltweit stattfindenden feministischen Streik an, der maßgeblich von den neueren feministischen Bewegungen in Lateinamerika ausgeht.
Heute streiken 1.000 Frauen* und Queers, weil sie und wir sich den Sorgen und Sorgetätigkeiten verweigern, die uns gesellschaftlich vorgeschrieben werden und in die wir hinein gepresst werden, die wir nicht stemmen wollen.
Wir wehren uns gegen die Prinzipien und Logiken, die prägen, wie Sorge größtenteils gelebt werden muss. Stattdessen kämpfen wir für mehr und andere Möglichkeiten Sorge zu leben und anzuerkennen.
Deshalb gilt: Jeder Tag ist queer-feministischer Streiktag. Und ob es all denjenigen, die die neoliberal-kapitalistische Lüge der individuellen Unabhängigkeit und des individuellen Aussorgens aufrecht erhalten wollen, passt oder nicht: heute ist Sorgekampftag!
Und niemand weiß es besser als die, die heute hier sind: In fast jedem Kontext sind es die am meisten Marginalisierten, die die Lasten der Sorge tragen. Und das sind bei weitem nicht nur Frauen*. Und um diese muss es auch gehen an einem queer-feministischen Streiktag. Und deshalb nennen wir den Streik heute Frauen* und Queers-Streik, der sich als Teil von vielen Kämpfen gegen Unterdrückung und Ausbeutung versteht.
Revolutionäre Ereignisse wie heute kommen nicht aus dem Nichts. Dieser Kampftag zeigt, dass Politisierung und Widerstand in jedem Fall auch jenseits von traditionellen Arbeitskämpfen und parteilicher Organisierung stattfinden. Dass wir uns hier in Kassel versammeln, zusammen mit vielen weiteren in anderen Städten und Regionen dieser Welt, gibt denen Recht, die schon immer wussten: das Alltägliche, das Private, das Unsichtbare, das Ungeahnte, das Gewöhnliche, das Gemeinsame war, ist, wird und bleibt politisch.
Denn wo findet Sorge überall statt? Im Zwischenmenschlichen, im Untereinander, im Zusammenhalten, im füreinander da sein. Sorge und Versorgung, die unser Leben bereichern und notwendig sind.
Die Basis jeden politischen Kampfes um Sorge und Sorgearbeit ist deshalb die radikale Anerkennung der Verletzlichkeit des Lebens, der Umwelt und der Gesellschaft …
Wir fordern daher ein Umdenken von Sorge in unserem Leben.
Wir fordern keine sorgenfreie Gesellschaft, wir fordern ein Mehr, ein Anders an Sorge!
Und das sind auch solidarische Strukturen und Stadtteil-Praxen wie sie in Kassel an vielen Stellen auch schon gelebt werden, seien es Küchen für Alle, kostenlose Sozial- und Rechtsberatungen, Nachbarschaftscafés, Stadtteilläden… Mehr davon!
So und jetzt wünschen wir allen, von Augsburg bis Witzenhausen, von Buenos Aires bis Zürich, auf der Straße oder an Orten der Sorgetätigkeit eine laute und kraftvolle Demo und einen ebenso stärkenden Abschluss nach diesem tollen Tag!
Tragt diesen Kampf in den Alltag: Redet miteinander, bringt euch ein, erzählt euch, was ist dein Streik. Dann ist jeder Tag Streiktag.“