Rede zum CSD in Kassel am 17.08.2019
„Wir wollen keine Grenzen“ ist das diesjährige Motto des CSD. Wir als qrew , eine queerfeministische Politgruppe aus Kassel, haben uns über diesen Titel Gedanken gemacht und heftig diskutiert.
Denn natürlich kam uns gleich zu Beginn der Gedanke: Keine Grenzen? So oft sind Grenzen und der Respekt davor Thema unserer alltäglichen Auseinandersetzungen. Es gibt genügend Gründe für Schutzräume. Das Übertreten und Missachten von eigenen Grenzen haben die meisten von uns schon schmerzlich erfahren müssen.
Welche Grenzen wollen wir also nicht? Sehr viele – das ist klar! Heute wollen wir auf bestimmte Grenzziehungen aufmerksam machen, über die wir immer wieder stolpern und gegen die wir uns auflehnen!
Viele (von uns) sind in unterschiedliche Kämpfe eingebunden: sei es als Schwarze und People of Color, als refugees/Migrant*innen, als Eltern, als Arbeiter*innen, als Frauen, als Seenotretter*innen, als Klimaktivist*innen uvm… Zu oft werden aber nicht die politischen Verbindungen unserer Kämpfe betont. Sei es in Berichterstattungen, bei aktivistischen Treffen oder beim Zusammensitzen mit Freund*innen werden ihre Unterschiede hervorgehoben. Zu oft wird verfehlt sich solidarisch zu zeigen. Dadurch werden unsere Kämpfe voneinander abgegrenzt und ihre jeweiligen Anliegen und Forderungen bleiben leiser.
Grenzziehungen zwischen verschiedenen emanzipatorischen Kämpfen verkennen jedoch die Realität:
Der brutale Angriff auf die Pride in Bialystok (Polen) letzten Monat lässt sich nicht trennen von dem rassistischen Tötungsversuch an Bilal M. am 22. Juli in Wächstersbach (Hessen). Die europäischen Grenzpolitik, wo schutzsuchende LGBT*IQAs in Länder abgeschoben werden, in denen sie aufgrund ihrer Sexualität oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden lässt sich nicht trennen von antisemitischer, rassistischer und sexistischer Alltagssprache. Das Recht auf einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag lässt sich nicht trennen vom Recht auf Bewegungsfreiheit.
Das Erstarken nationalistischer und faschistischer Politiken und Parteien findet auch mit Unterstützung und im Schulterschluss mit konservativen und bürgerlichen Kräften statt. Es ist gefährlich für alle, die nicht in dieses Weltbild passen und für alle, die sich gegen menschenfeindliche Ideologien engagieren.
Wir erinnern heute an die Stonewall riots. Sie waren Verbindungspunkt verschiedener Kämpfe gegen Unterdrückung und Repression. Stonewall unter den heutigen politischen Bedingungen Ernst zu nehmen, bedeutet unsere queerfeministischen Kämpfe immer als antifaschistisch zu begreifen! Es bedeutet, die zahlreichen Kämpfe gegen Diskriminierung und gegen Rechts zusammenzudenken, sich miteinander zu verbünden und zu verstehen: Wir müssen selber Grenzen zwischeneinander abbauen, um andere gemeinsam niederreißen zu können! Damit es für uns und Andere möglich wird bzw. weiterhin möglich bleibt offen an diesen Tagen auf die Straße zu gehen, zu protestieren und ja, auch zu feiern, ohne Angst davor zu haben, angegriffen zu werden. Damit grenzenlose Solidarität mehr ist als eine leere Floskel. Damit in aktivem Gedenken an Stonewall der CSD politisch bleibt.
KEIN QUEERFEMINISMUS OHNE ANTIFASCHISMUS!
KEIN ANTIFASCHISMUS OHNE QUEERFEMINISMUS!