Falls ihr am 14.11. nicht dabei sein konntet oder unsere Rede noch mal nachlesen möchtet, findet ihr unseren Redebeitrag jetzt auch hier auf unserem Blog:
Redebeitrag der qrew auf der Demo gegen Fundis „Abtreibungen legalisieren – Antifeminismus sabotieren! In Kassel und überall!“ am 14.11.2020:
Wir möchten heute über Personen sprechen, die im Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch häufig nicht mitgedacht oder genannt werden. Weil sie so selten mitgenannt werden, sind auch die Worte, die von ihnen oder ihren Erfahrungen erzählen sehr unbekannt. Darum beginnen wir die Rede mit ein paar kurzen Erklärungen:
- Cis beschreibt Menschen, die das Geschlecht haben, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde; trans beschreibt Menschen, die bei denen das nicht so ist,.
- Endo beschreibt Menschen, deren Körper der gesellschaftlichen Vorstellung von „weiblich“ und „männlich“ entsprechen; inter beschreibt Menschen, deren Körper das nicht tun.
- Nicht-binär beschreibt Menschen, die nicht nur weiblich oder männlich sind.
- Ableisiert bezeichnet Menschen, die nicht be_hindert werden.
Es widerspricht unserer Idee eines gemeinsamen solidarischen Kampfes, in Debatten um Abtreibungsrechte NUR über Frauen zu sprechen, weil es Vorurteile gegenüber schwangeren Männern, schwangeren nicht–binären und queeren Personen herstellt oder diese verstärkt. Denn auch Männer, nicht-binäre oder queere Personen, die nicht Frauen sind, können vor der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch stehen. Und wie jede schwangere Person wollen sie selbst darüber entscheiden, ob sie schwanger werden möchten, ob sie schwanger bleiben möchten oder eben nicht. Wie jede schwangere Person möchten sie selbst entscheiden, wie mit ihrem Körper und mit ihnen umgegangen wird und welche Worte ihnen gerecht werden. Denn nicht alle Personen, die schwanger werden können sind Frauen. Nicht alle Personen, die schwanger sind, werden „Mütter“.
Es widerspricht unserer Idee eines gemeinsamen solidarischen Kampfes, in Debatten um Abtreibungsrechte über ALLE Frauen zu sprechen, weil das so viele Frauen unsichtbar macht. Längst nicht alle Frauen, ob trans oder cis, ob inter oder endo, ob behindert oder ableisiert können schwanger werden.
Unser Kampf für eine selbstbestimmte Familienplanung braucht nicht nur das Recht auf Abtreibung, sondern ein Recht auf selbstbestimmte Fortpflanzung und ein Recht auf gewaltfreie Gesundheitsversorung. Und dies gilt für alle Geschlechter.
Weil immer noch nur verheiratete cis hetero Paare kassenfinanzierte medizinische Unterstützung bei unerfülltem Kinderwunsch erfahren.
Weil bis 2011 trans Personen unter gesetzlichem Zwang sterilisiert wurden, wenn sie ihren Namen rechtsgültig ändern wollten.
Weil behinderte Personen aller Geschlechter im Bereich der Familienplanung zu wenig medizinische Versorgung und Aufklärung erfahren. Es mangelt an barrierefreien Praxen genauso sehr wie an barrierefreien Informationen. In der Folge bleiben auffallend viele behinderte Personen kinderlos und überdurchschnittlich viele von ihnen verhüten mit Produkten, die viele Nebenwirkungen aufweisen. Und schließlich ist es bis heute möglich, eine behinderte Person ohne ihre Einwilligung zu sterilisieren.
Letzteres wird auch an inter Kindern vorgenommen – und dann verharmlost als Nebenergebnis der medizinischen Anpassung dieser Kinder an die gesellschaftlichen Erwartungen an Weiblichkeit oder Männlichkeit. Ohne die aufgeklärte Einwilligung der jeweiligen Personen sind solche Eingriffe jedoch sehr gewaltvoll. Sie bilden die offensichtliche Spitze des Eisbergs an medizinischer Fehlversorgung und gesellschaftlicher Gewalt, die inter Personen erfahren.
Wir alle stehen immer wieder vor der Schwierigkeit ein Gesundheitssystem nutzen zu müssen, welches von Normierungen über Geschlecht und Sexualität durchzogen ist. In dem wir Diskriminierung und Gewalt seitens Behandler*innen erfahren. In dem es nur wenig diskriminierungssensibles Wissen und Informationen zur Familienplanung, zu Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen gibt.
Wir alle sind Teil desselben Kampfes! Und dieser Kampf muss bestehende Gechlechterbilder und Familienbilder grundlegend in Frage stellen. Sonst schwächen wir uns selbst und stellen die Gewalt her, gegen die wir hier einstehen. Wenn wir klarstellen,
dass nicht alle Frauen Mutter sein wollen oder können,
dass auch Männer und nicht binäre Menschen Kinder gebären wollen und können,
dass es mehr gibt als endo cis Frauen und Männer und mehr Weisen zu begehren als Heterosexualität,
dass behinderte Menschen ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft und Menschen mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sind,
greifen wir das Weltbild unter anderem von christlichen Lebensrechtsgruppen in den Grundfesten an. Das macht ihnen Angst vor der Zukunft! Diese Angst möchten wir ihnen nicht nehmen. Ganz im Gegenteil!
Für eine Gesellschaft, in der jede Persondie medizinische Versorgung bekommt, die sie braucht!
Für eine Gesellschaft, in der alle Geschlechter und sexuellen Begehren ihren Platz haben!
Für eine Gesellschaft, die Barrieren niederreißt, statt neue zu bauen.
Für eine Gesellschaft jenseits des Patriarchats!