Toller Spaß im Knast – Ausbruchsfreuden für Jedermensch?

Die QREW unterstüzt folgenden Offenen Brief:

Eine kritische Anmerkung zum Ereignis „Break out and run free“, welches am 7. September im ehemaligen Knast „Elwe“ in Kassel stattfinden soll.

Am 24.07.1994, also vor genau 20 Jahren, begann in der Kasseler JVA „Elwe“ eine Revolte von ca. 40 Abschiebehäftlingen. Tags darauf wurden diese von einer GSG 9 – Einheit niedergeschlagen. Am 28.11.1994 begannen die ersten Prozesse wegen Geiselnahme und einer Beteiligung an einer Meuterei.

Wieso kam es dazu?

Ein kurzer Rückblick in die Situation von Asylsuchenden Anfang der 90er Jahre.

Durch die de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Juli 1993 steigt die Zahl der Abschiebungen. Zur „Sicherstellung“ der Abschiebung wird immer häufiger Abschiebehaft angeordnet. Das hat zur Folge, dass Menschen, ohne je ein Verbrechen begangen zu haben, monatelang, in Extremfällen bis zu 18 Monate, im „normalen“ Vollzugsknast sitzen. Es gibt zu dieser Zeit ca. 150 Abschiebehaftplätze in Hessen, wovon sich 28 offiziell in Kassel in der JVA Wehlheiden und deren damalige Zweigstelle „Elwe“ befinden. Bis zu der Eröffnung des Abschiebeknastes Offenbach sind diese Knäste aber mit jeweils bis zu 40 Abschiebegefangenen belegt. Jugendliche Abschiebehäftlinge sitzen 7 km östlich von Kassel in der damaligen Jugendarrestanstalt Kaufungen. In Nordhessen wird Abschiebehaft öfter und länger als in anderen Landesteilen verhängt.

Die Haftbedingungen für Abschiebehäftlinge zu der damaligen Zeit in Kassel sind folgende:

23 Stunden Einschluss auf der Zelle, die auf 20 qm zum Teil mit sechs Menschen belegt wird. Eine Toilette in einer Ecke, dazu nur ein kleines Fenster, welches nur gekippt werden kann. Keine Arbeit, keine Veranstaltungen, nur 2 Paketmarken im Jahr. Rassistische Sprüche von JVA-Bediensteten, Beschwerdebriefe werden bei der Übergabe zerrissen.

Gegen genau diese menschenunwürdigen Haftbedingungen revoltieren und wehren sich zu dieser Zeit bundesweit Abschiebegefangene.

In den Knästen: 1992 Uelzen, 1993 HH-Fuhlsbüttel, 1993 Bremen-Oslebshausen, 1993 Herne, 1993 Lübeck, 1994 Herne, 1994 Büren, 1994 Leverkusen-Opladen, 1994 Wuppertal, 1994 Volkstedt, 1994 Berlin-Kruppstraße, 1994 Kassel „Elwe“, ….

Rassistische Diskurse in der Politik

Ein solcher „Knastspaß“ geht zu dieser Zeit einher mit einem rassistischen Klima nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch durch „Offizielle“, die in Rathäusern, in Landesparlamenten, im Bundestag sitzen.

Ein Beispiel aus Kassel zu dieser Zeit: In der Stadtverordnetenversammlung gibt es rein rechnerisch eine Mehrheit von CDU, FDP und REP´s. Die CDU stellt den Oberbürgermeister (Lewandowski), der während des damaligen Wahlkampfes Stimmung macht gegen „Asylmißbauch“ ein Zitat: „Ich möchte nicht, daß der soziale Friede in unserer Stadt wegen 95% Asylschwindlern gefährdet wird.“ Ein weiteres Zitat: Es sei schwierig den Berg von 200 „Asylaltfällen abzuarbeiten“, weil einige Asylsuchende ihren Aufenthalt durch „Taschenspielertricks“ hier strecken würden. Zu dieser Zeit werden jährlich etwa 50.000 Menschen abgeschoben, 127 kommen aus Kassel.

Die Misshandlungen im Knast Wehleiden

Nachdem der Aufstand von der besagten GSG 9-Einheit niedergeschlagen wurde, wurden die damals Festgenommen in den zweiten Kasseler Knast verbracht, nach Wehlheiden. Bei ihrer Ankunft mussten die Gefangenen durch eine Gasse von 10 bis 20 Schließern laufen und wurden auf ihrem Weg in die Zellen mit Knüppeln und Fäusten geschlagen. Ein Betroffener beschrieb in seinem Prozess die Ereignisse folgendermaßen: „Nach der Überwältigung im Bus durch die GSG 9 wurden wir alle in Gefangenentransportern ins Polizeipräsidium gebracht […]. Die anderen, wozu auch ich gehörte, wurden erst am nächsten Tag in die JVA-Wehlheiden gefahren. Bei der Ankunft mußten wir eine Treppe hochgehen, wo rechts und links die Wärter standen. Ich musste mich dann meiner gesamten Bekleidung entledigen und wurde zu einer Zelle geführt. Als ich dort eintreten wollte, wurde ich von hinten überfallen und mit einem Schlagstock geschlagen, wovon ich heute noch Narben besitze.“

Dies war kein Einzelfall, vielmehr kam es immer wieder zu Übergriffen von Seiten der damaligen Schließer. Die Aussagen von den zehn Betroffenen wurden damals auch von anderen Gefangenen und der damaligen Knastpsychologin bestätigt.

Dies ist lediglich ein Beispiel von der Missachtung und Verletzung der Grundrechte von Menschen im Kontext Knast. Es gibt noch viele weitere Argumente dafür, einen solch unreflektierten Umgang mit dem Thema Knast, wie es die Veranstalter „Achim Achilles“ und Christopher Posch, der die Welt scheinbar nur aus Doku Soaps von RTL kennt, zu verurteilen.

Im echten Leben hat ein Ausbruch aus dem Knast gar nichts mit einem Actionfilm zu tun, ganz im Gegenteil.

 

Unterzeichner_innen:

AZ Kassel (Autonomes Zentrum Kassel)

KUK (Kritische Uni Kassel)

QREW (queer radikal emanzipatorisch weißnicht – queere politgruppe kassel)