Das Patriarchat bleibt stabil!

Nach dem Orlando Attentat mit 49 Toten und 53 Verletzten in dem LGBT*IQ-Club ‚Pulse‘ am 12.Juni 2016 wird weiter über die Ursachen und die Hintergründe gestritten. In den verschiedensten Diskussionen und Publikationen zu dem Orlando Attentat und dessen Hintergründen wird jedoch deutlich, dass es vielen offensichtlich äußerst schwer fällt, den Anschlag als die größte massenhafte Ermordung von LGBT*IQs in der jüngeren Geschichte zu benennen und zu bewerten.

Kaum lässt sich die weltweite Tragweite für LGBT*IQs, die dieses Attentat mit sich bringt, in die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft transportieren. Eine Tragweite, die jedoch allen Menschen die sich der Community zugehörig fühlen, schlagartig bewusst war: Der Hass auf LGBT*IQ nimmt wieder zu. Die Sicherheit, die wir innerhalb von unseren Schutzräumen, Clubs oder Bars, auf unseren Prides oder Demos uns selbst imaginiert haben, ist zerstört. Immer wenn weltweit eine LGBT*IQ-Person aufgrund von Hass gegen ihre Sexualität oder ihre Geschlechtsidentität Gewalt erfährt oder zu Tode kommt, ist es ein Anschlag auf die Community und immer empfinden wir es so. In Orlando in einem lange vergessenem Ausmaß.

Sollten wir lieber zurückkehren zu einem Leben in Angst und im Verborgenen? Oder sind nicht genau die Mahnwachen, neben dem Ausdruck unserer Trauer, unserer Wut und unseres Schreckens, auch der Versuch uns nicht unterkriegen lassen zuwollen – Das wir sichtbar und präsent sein werden, auch wenn wir ein vielfaches Ziel von Hass, Ablehnung und Gewalt sind.

Auf der am 15. Juni in Kassel stattfindenden Mahnwache für die Opfer des Anschlags wurden von dem ‚Antifaschistischen Kollektiv Raccoons‘ Flyer verteilt, die, allein in ihrem Titel eine sehr deutliche Botschaft haben:„Das Problem heißt Islam“.(1)

In dem Flyer wird kurz auf den Täter und einen Teil seines Hintergrunds eingegangen, bevor aufgeführt wird, dass in 13 Ländern, in denen die Todesstrafe auf Homosexualität besteht, der Islam Staatsreligion ist. Im gesamtem Text wird das Problem externalisiert und die Autor*innen ziehen sich so aus der Verantwortung. Es erinnert leider stark an die Gruppen, die nicht müde werden zu erzählen, dass mit der Überwindung des Kapitalismus auch die Emanzipation der Frauen* und LGBT*IQ erreicht sein wird. Sexismus, Rassismus, Homo- und Trans*feindlichkeit bleiben in solchen Argumentationen als Nebenwiderspruch bestehen. In dem Flyer des ‚Antifaschistischen Kollektivs Raccoons‘ begegnet uns der Nebenwiderspruch in einer neuen, anderen Form: So stellt sich doch gleich die Frage, ob mit Überwindung des Islams auch gleich die Diskriminierung, Abwertung und Gewalt gegen Frauen* und LGBT*IQ ein Ende haben wird. Ein einfacher Problemlösungsansatz!

Die Stellungnahme und Analyse des Flyers reiht sich dabei in bekannte strukturelle Begebenheiten ein: Aus einer hegemonialen Position werden das Ausmaß der Konsequenzen, die das Attentat in Orlando auf LGBT*IQs hat, nicht nur abgewertet, sondern auch gleich negiert. Die eigene hegemoniale Position wird dabei weder wahrgenommen noch reflektiert. Stattdessen wird uns aus dieser Position, wie so häufig, unter einem politisch sachlichen Deckmantel, die Welt erklärt. Wiedereinmal wird damit (queer-)feministischen emanzipatorischen Kämpfen ihre Notwendigkeit und politische Relevanz abgesprochen.

Es liegt in keiner Weise in unserem Interesse, die Problematik des weltweiten Erstarkens von islamistischen Strukturen klein zureden oder zu negieren. Auch liegt es uns fern eine emanzipatorische Religionskritik am Islam zu verhindern oder uns dieser entgegen zu stellen. Wir kritisieren und verurteilen religiösen Fundamentalismus in all seinen Formen aufs schärfste, denn hier ist eine zentrale Ursache für den Hass begründet.

Patriarchale Strukturen sind in religiös-fundamentalistischen Gesellschaftsteilen zwar stärker ausgeprägt, doch begegnen sie uns in der ‚befreiten westlichen Gesellschaft‘ ebenso jeden Tag: In der Uni und bei der Arbeit, beim Einkaufen, Abends im Club, oder eben innerhalb der vermeintlich ‚eigenen‘ linken Szene.

Herrschaftskritische Analysen, die Teil linker Politik sind, müssen auch immer eine Reflexion und Kritik der eigenen hegemonialen Positionen beinhalten. So fordern wir eine schonungslose Kritik an patriarchalen Strukturen vor allem von einer radikalen Linken und verwehren uns gegen die Vereinnahmung unserer Trauer, unserer Wut und unserer Bestürzung. Denn wir waren mit diesem Anschlag gemeint und nicht wie behauptet wird, die ‚westliche, befreite Gesellschaft‘. Homo- und Trans*hass war der wesentliche Grund des Anschlags und wir begegnen diesem Hass nicht nur in Religionen. Wir begegnen diesem Hass jeden Tag und müssen uns gegen ihn behaupten. So ergaben erst die aktuell veröffentlichten Ergebnisse der sog. „Mitte“-Studie aus Leipzig, dass 40,1% es ekelig finden, wenn homosexuelle Menschen sich in der Öffentlichkeit küssen. (2)

Es verwundert kaum noch, dass wir von Teilen der lokalen antifaschistischen Strukturen in Kassel hierbei denkbar wenig Solidarität erfahren. Stattdessen wird von einer antifaschistischen Gruppe eine derartig pietätlose und unsagbar peinliche Aktion gebracht, die Kooperationen für die nähere Zukunft absolut undenkbar für uns machen. Für uns wird mal wieder deutlich: Das Problem heißt Patriarchat!

qrew – queere polit gruppe kassel
autonomes schwul trans* queer referat an der Uni Kassel

(1) http://raccoons.blogsport.de/2016/06/16/das-problem-heisst-islam/

(2) http://www.tagesschau.de/inland/mitte-101.pdf