Ja, nicht nur Frauen werden schwanger!

Rede zu den Protestaktionen „Kein Bock auf Fundis – Für ein selbstbestimmtes Leben“ am 16.11.2019 in Kassel

Wir reden heute hier um immer und immer wieder zu betonen, was zu oft untergeht:

Ja, auch Männer, nicht binäre und queere Personen, die nicht Frauen sind, können vor der Frage eines Schwangerschaftsabbruches stehen!
Das wird zu oft nur am Rande behandelt oder sogar negiert – auch in feministischen Bemühungen um die Abschaffung vom §218 StGB. Und nein, wir lassen das Argument „aber meistens betrifft es doch Frauen“ nicht zählen! Wenn in Debatten um Schwangerschaftsabbruch nur über Frauen gesprochen wird, wird die Tabuisierung und Stigmatisierung schwangerer Männer, schwangerer nicht binärer und queerer Personen weiter gestärkt. Das widerspricht jeder Idee von einem gemeinsamen solidarischen Kampf, der den Schutz besonders marginalisierter Positionen miteinbeziehen muss. Trans*, nicht binäre und queere Personen stehen immer wieder vor der Schwierigkeit ein Gesundheitssystem nutzen zu müssen, welches von Normierungen über Geschlecht und Sexualität durchzogen ist. In dem sie Diskriminierung und Gewalt seitens Behandler*innen erfahren. In dem es nur wenig trans*- und queer-spezifisches Wissen und Informationen zur Familienplanung, zu Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen gibt. Schwangere sind einem Rechtssystem ausgesetzt, welches alle Personen, die schwanger werden können, als potenzielle „Mütter“ bezeichnet (Urteil BGH), unabhängig von der eigenen Geschlechtsidentität! Das Gesundheits- und Rechtssystem bleibt der Logik „nur Frauen werden schwanger, also sind alle Schwangeren Frauen“ verhaftet und reproduziert damit diese vermeintlich unausweichliche Verknüpfung.
Kämpfe gegen §218 und §219a StGB müssen diese Geschlechterbilder grundlegend in Frage stellen, sonst greifen sie zu kurz, reproduzieren Gewalt und schwächen sich selbst!

Wenn wir, wie heute, gegen die sogenannten LebensschützerInnen auf die Straße gehen, müssen wir auch trans* und queeren Perspektiven Raum geben. Denn der sogenannte „Lebensschutz“ wie er auch hier beim Lebensrechts-Forum gepredigt wird, ist Teil eines ganzen Weltbildes. Das Weltbild der AbtreibungsgegnerInnen lässt nur eine ganz bestimmte – angeblich natürliche, weil „gottgewollte“ – Form von Leben, Lieben und Sein zu! Es negiert die Existenz queerer Identitäten und queeren Begehrens!

Was verschiedene queer-feministische Strömungen schon seit Jahrzehnten fordern, und zwar einen selbstbestimmten Umgang mit Körper und Sexualität, ist LebensschützerInnen ein Dorn im Auge. Den Rednern beim Lebensrechts Forum geht es längst nicht nur um den Schutz ungeborenen Lebens, sondern auch um die Aufrechterhaltung konservativer Rollen- und Gesellschaftsbilder. Hier zeigen sich immer wieder Anschlüsse nationalistischer, völkischer und rechter Ideologien an die Argumentationen der LebensschützerInnen. Denn nicht jede*r soll ihrer Meinung nach Mut zum Kind haben trotz Zukunftsangst. Kinder kriegen sollen vor allem weiße, gesunde, heterosexuelle, bürgerliche und am besten gottestreue Paare. Schwangerschaft steht aus Sicht dieser AbtreibungsgegnerInnen nicht nur im Dienst für Gott, sondern entspricht ebenso der Verantwortung, die Frauen gegenüber dem Volk haben. Alle vermeintlich ‚anderen‘ Lebensvorstellungen, Sexualitäten, Geschlechtsidentitäten etc. werden abgewertet und pathologisiert. So wird in Konversionstherapien immer noch gewaltvoll versucht Begehren der heterosexuellen Norm anzupassen. Auch hier wird gerne mit angeblicher Natürlichkeit und dem „Wohle der Gesellschaft“ argumentiert. Dass diese angebliche Natürlichkeit dabei nur ein Pochen auf konservative binäre Vorstellungen ist und das Beharren auf eine patriarchale Geschlechterhierarchie, lassen sie dabei unerwähnt.

Dass nicht alle Frauen Mutter sein wollen oder können, dass auch Männer und nicht binäre Menschen Kinder gebären wollen und können, dass es mehr gibt als cis-Frauen und cis-Männer und mehr Weisen zu begehren als Heterosexualität greift ihr Weltbild in den Grundfesten an und macht ihnen Angst vor der Zukunft! Diese Angst möchten wir ihnen nicht nehmen. Ganz im Gegenteil!

Wir kämpfen für eine Zukunft, die diesen LebenschützerInnen Angst macht, weil es traditionelle Geschlechterrollen nicht mehr gibt, weil schwangere Personen nicht nur den Mut sondern auch das Recht haben selbst über ihren Körper zu entscheiden, weil das Patriarchat abgeschafft wurde!

Für eine Gesellschaft jenseits des Patriarchats!
Ohne Sexismus, Rassismus, Nationalismus und Volk!