Das Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen

„Über Leben und Tod kann nicht privat entschieden werden“. Das sagt Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evanglischen Allianz (DEA) und 1. Vorsitzender1 des Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen (TCLG), der VeranstalterInnen des Forums in Kassel. Hartmut Steeb ist eines der Vorstandsmitglieder von idea, einer gut vernetzten evangelikalen Nachrichtenagentur, und gibt der „neokonservativen“ Zeitschrift „Junge Freiheit“ ab und an gerne Interviews.

Für Hartmut Steeb ist das „Recht auf Leben“ ein nicht angreifbares menschliches Recht, welches sowohl den (begleiteten) Suizid sowie die Abtreibung ausschließt. Wie viele LebensrechtlerInnen begründet Hartmut Steeb seine Argumentation mit der Loyalität gegenüber „der Gemeinde Jesu“: „Die Gemeinde Jesu ist nicht nur ein Hospital für Kurzzeitkranke sondern auch Sanatorium für Langzeitkranke […] Wir alle sind wie in einem Hospital, erkrankt an Schuld und Sünde und an Verirrungen“2.

ChristInnen sollten sich laut Steeb deshalb nicht moralisch höher als andere stellen und ebenso „ihre Feinde lieben“. Aus diesen Gründen gelte es, auch offen gegenüber abtreibungswilligen Menschen zu sein und sie, zum Beispiel in Form „ehrenamtlicher Beratung“, in die Gemeinde Jesu aufzunehmen. Er beruft sich dabei auf biblische Worte des Predigers Jesus Christus aus der sogenannten „Bergpredigt“: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Matthäus 5, 44).

Betrachten wir uns die SprecherInnen des heutigen Tages strickt sich der Rote Faden „Lebensschutz im Namen Gottes“ weiter.

Auch Prof. Dr. Paul Cullen, Arzt und 1. Vorsitzender des Ärzte für das Leben e.V., wendet sich gegen Abtreibung und Sterbehilfe. In den Statuten des Vereins ist mit Bezug zu Abtreibung und begleitetem Suizid von einem „lebensfeindlichen Zeitgeist“ und einer „familienfeindlichen Politik“ die Rede.3 Grundlage der Argumentation Cullens sind die Definition menschlichen Lebens auf der Basis christlicher Werte. Menschliches Leben reicht für ihn von der befruchteten Eizelle bis zum „natürlichen“ Tod.

Mit Alexandra Linder hat sich das TCLG einen der „führenden Köpfe“ und rhetorischen Asse der deutschen Lebensrechtsbewegung4 nach Kassel geholt: Alexandra Linder ist seit 1992 ehrenamtlich bei der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) tätig. ALfA ist einer der größten deutschen Lebensrechtsvereine. Zudem ist Linder Mitglied von vitaL, einem „Beratungstelefon“ für Schwangere, die abtreiben wollen. Linder ist sowohl gegen Abtreibung, als auch den begleiteten Suizid. Letzteres begreift sie mit Blick auf die Schweiz, als „Geschäft mit dem Tod“ und warnt vor den enthemmenden Wirkungen der Legalisierung von Euthanasie. Die Abtreibung sei laut Linder eine „Euthanasie vor der Geburt“ und „die größte Todesursache der Welt“5.

Martin Leupold, Leiter des evangelischen Vereins Weisses Kreuz e.V. in Ahnatal, ist ehemaliger Dozent und Direktor des „Gnadauer Theologisches Seminar Falkenberg“. Dieses ist explizit missionarisch ausgerichtet und möchte „die Grundlagen für evangelistische und sozial-missionarische Arbeit in einem säkularisierten Umfeld“ schaffen.6 Leupold selbst beschäftigt sich intensiv mit den Themen Sexualität, evangelische Sexualethik und christliche Ehe. „Die Ehe“ versteht sich für ihn als eine Institutionen zwischen einer Frau und einem Mann, in der Sexualität besonders geschützt stattfinden kann. Für ihn gehören sexuelle Aktivitäten in „die Ehe“.

Ihre Ansichten legitimieren alle der genannten ProtagonistInnen mit Gott/Jesu Christi, laut welchen menschliches Leben sowie auch die heterosexuelle Ehe eindeutig definiert seien. Die schrittweise Ablösung moderner Lebensformen von vermeintlich christlichen Dogmata und deren Institutionen (=Säkularisierung) empfinden sie und andere Evangelikale als beunruhigend und entgegen ihr offensiv, nicht selten auch aggressiv. Die stupide Gut-Schlecht-Ideologie macht es Steeb&Co dabei nur allzu leicht. Mit Gott die eigene Weltsicht zu erklären ist nicht schwer und die LebensschützerInnen können sich vieler AnhängerInnen sicher sein. Dass sich hinter der pseudo-friedvollen Fassade ein breit gestricktes Netz an menschenfeindlichen Einstellungen verbirgt, bleibt jedoch nicht verborgen.

Betrachte ich mir die Wortwahl und Aktionen vieler „Lebensschützer“ verstehe ich ihre Selbstbezeichnung als blanken Hohn: Abtreibung und begleiteter Suizid werden zu „Mord“ und die Ausführenden zu „Straftätern“ und „Mördern“.7 Eine evangelikale „Detektivin“ verleumdet bekennungsfreie Ärzt*innen katholischer Krankenhäuser durch die Vortäuschung einer Vergewaltigung (!)8. Und „Gehsteigberatungen“ von Personen vor Abtreibungskliniken stellen sich in der Realität als blanker Psychoterror heraus9.

Auch vor rassistischen Anfeindungen ist mensch bei den „Lebensschützern“ nicht sicher: Dass, zum Beispiel, Steeb Talent als rassistischer Verschwörungstheoretiker hat, ist offensichtlich, wenn er in „Junge Freiheit“ über „den Islam“ spricht: „Wir dürfen schließlich auch die Tatsache einer möglichen schleichenden Islamisierung nicht übersehen.“10

Die Annahme, „der Islam“ sei das bösartige Pendant zum guten Christentum, einer „fremden Kultur“ zugehörig und schon gar nicht „deutsch“ ist in christlich-fundamentalistischen Kreisen verbreitet. In Beiträgen der Nachrichtenargentur idea finden sich regelmäßig nationalistische und islamfeindliche Äußerungen wie die des Pfarrers und (selbst-)ernannten „Islam-Experten“ Eberhard Troeger, welcher die Bedrohung des deutschen Volkes durch die „schleichende Islamisierung“ nur bestätigen kann: „Materialismus und Egoismus haben zur Kinderarmut und zum Schrumpfen der altdeutschen Gesellschaft geführt, was wiederum Zuwanderung dringend notwendig macht“. Er wende sich gegen eine Politik, „die zu leichtfertig kulturelle Errungenschaften unseres Landes preisgibt, um sich – aus welchen Gründen auch immer – dem Fremden anzubiedern“.11

Welch Hohn sich „Lebensschützer“ zu nennen angesichts von Argumentationen, die dem Willen eines willkürlich interpretierbaren Gottes/seines Sohnes mehr Geltung einräumen als dem Recht auf Selbstbestimmung, körperliche und geistige Unversehrtheit sowie medizinische und pflegende Berufe ohne Angst ausführen zu können! Überzeugte AbtreibungsgegnerInnen machen mehr als wohlwollend „zu beraten“: Sie bedrohen Menschen, verletzen ihre persönliche Integrität, schüchtern Ärzt*innen ein und entsolidarisieren sich mit allen vergewaltigten Personen! Sie zeigen keinen Respekt gegenüber muslimischen Religionen und verurteilen deren AnhängerInnen pauschal. Die Einstellungen vieler LebensschützerInnen sind von Nationalismus und Rassismus geprägt.

Wir wenden uns heute gegen die Verachtung und Menschenfeindlichkeit dieser selbst ernannten „Lebensschützer“:

  • Für die Legalisierung von Abtreibung und begleiteten Suizid!
  • In Solidarität mit durch „Lebensschützer“ angegriffene Personen!
  • In Solidarität mit allen vergewaltigten Menschen!
  • In Solidarität mit den verleumdeten Mediziner*innen und Pfleger*innen für die angstfreie Ausübung ihrer Berufe!
  • Gegen Islamhass, Nationalismus und Rassismus!
  • Für eine Welt ohne (menschenfeindliche) Religionen!

1 und zudem Generalsekretär und Geschäftsführer des Evangelischen Allianzhauses Bad Blankenburg gGmbH, Vorstand der „Koalition für Evangelisation“ (Lausanner Bewegung Deutschland), Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen und der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. http://www.ead.de/die-allianz/netzwerk/generalsekretaer/hartmut-steeb.html

2 http://www.kath.net/news/48301

3 http://www.aerzte-fuer-das-leben.de/aefdl_grundlagen.html

4 http://www.raggs-domspatz.de/profil/beirat.2/linder/index.html

5 http://www.kathtube.com/player.php?id=40257

6 http://www.gtsf.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9&Itemid=16

7 Was manche Menschen mehr trifft als die Androhung von Höllenfeuer.

8 http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/skandal-in-koeln-grosse-verunsicherung-unter-den-aerzten/7667064-2.html

9 vgl. http://www.tz.de/muenchen/stadt/abtreibungsgegner-sprechen-frauen-klinik-streit-verbot-6397177.html

10 https://jungefreiheit.de/debatte/interview/2008/angriff-auf-unser-menschenbild/

11 http://www.kath.net/news/48647/print/yes …wer diesen und folgende Links aufmerksam überprüft erkennt schnell, wer die Meinungen mit Steeb, Troeger und Co gerne teilt.